Auf der Rammelburg sind die Rammler los
Pleiten, Pech und komische Personen kleben seit 1995 an Schloss Rammelburg. Und die Leidensgeschichte der steinernen Schönheit im Wippertal nimmt kein Ende.
Von Jessica Zanner
Versteigerungen des Schlosses
Auf seiner Harztour im Sommer 1995 trifft der reisefreudige Martin Wittram einen Pfleger an der Toreinfahrt des Schlosses Rammelburg, das zu jener Zeit eine Rehabilitationsklinik für Jugendliche mit Behinderung ist.1 Martin Wittram ist erstaunt über das schöne Schloss und wird prompt beim Fotografieren des bunt bepflanzten Schlosshofes erwischt:
Doch was folgt, ist keine Standpauke, sondern die traurige Erzählung eines Pflegers namens Thomas, der seinem Ärger Luft macht: Das schöne Schloss wird zugemacht. Dringendes Geld zum Restaurieren sei weder zu DDR-Zeiten noch jetzt für die Rammelburg verfügbar. Doch sobald sich ein Finanzier finde, soll alles privatisiert werden: Ein Luxus-Hotel und ein Fortbildungsseminar für verdiente Beamte sei im Schloss geplant. Dann ist auch für die Belegschaft hier Schluss. – Das war ein halbes Jahr bevor im belebten Schloss endgültig Ruhe einkehrte. Die Menschen mit Behinderung zogen Ende 1995 in eine andere Immobilie und das sanierungsbedürftige Schloss wurde auf seinem Berg nach so vielen Jahren alleingelassen.
Es gibt zu dieser Zeit nur einen Burgwächter aus Rammelburg, der hin und wieder die feuchten Gemäuer des Schlosses lüftet, die Polizei ruft, um Einbrüche anzuzeigen und eingeworfene Fensterscheiben provisorisch abzudichten. Nach einem Rohrbruch, der das Schloss im Winter gut wässerte, investiert das Sozialministerium Sachsen-Anhalt ein letztes Mal in die Rammelburg, um einen Verkauf zu fördern. Es wird angefangen das Dach des Haupthauses mit Schiefern einzudecken und Schwamm und Salpeter zu beseitigen. Zu dieser Zeit wird der Sanierungsbedarf laut der CDU-Landtagsabgeordneten Petra Wernicke bereits auf dreißig bis vierzig Millionen D-Mark geschätzt.2 Das war vor mehr als 15 Jahren.
Die dringenden Sanierungsarbeiten stoppten 1996 als von Thurn und Taxis einen Anspruch auf Rückerwerb der Rammelburg geltend machten. Sie wurden im Zuge der Bodenreform nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet und die Rammelburg wurde konfisziert. Die Zeit des Leerstands und die fehlende Sanierung zog sich so bis der Rücknahmeantrag von Thurn und Taxis 1997 abgewiesen wurde. – Die Chance einer royalen Zukunft war vertan.
Nachdem die Kirche in Bad Frankenhausen ein besonderes Baugerüst bereit gestellt hatte, um die Reparatur des tropfenden Daches der Rammelburg zu unterstützen, kann sie 1998 mit schönem Schieferdach veräußert werden. Neue Hoffnung: Ein Berliner Kunsthändler ersteigerte das Schloss und plante die Einrichtung von Galerien und Konzertsälen. Auch die Schlosskapelle sollte für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. – Er trat aus unbekannten Gründen vom Kauf zurück. Zwei Jahre später kam es zu einer erneuten Versteigerung der Rammelburg in Berlin. Den Zuschlag erhielt die Immobiliengesellschaft Escande Concept GmbH aus Leipzig bei 740.000 D-Mark. Das passende Konzept (oder Klienten) haben sie für die Rammelburg jedoch nie gehabt. Ein Blick ins Handelsregister verrät, dass diese Firma längst Geschichte ist. Und dennoch wird ein Teil dieses Unternehmens nicht mehr aus der Ortsgeschichte weichen: der Hasenmann. Er scheint Teil der Escande Concept GmbH gewesen zu sein und residierte immer mal wieder auf der Rammelburg.
Die Rammler auf Schloss Rammelburg
Käfig
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Ob den Hasenmann der Name des Schlosses dazu inspirierte, seine Rammler dort unterzubringen? Erich Träger war bis 2010 Burgwächter. Auch für den Hasenmann. Er fütterte seine Kaninchen, wenn der Burgherr nicht zugegen war. Die Rammelburgerin Gertrud Brückner berichtet schmunzelnd über den Burgherrn: „Er hat immer nett gegrüßt, war adrett gekleidet und war tierlieb. Kaninchen und Katzen hatten es ihm besonders angetan“. Erich Träger ergänzt eine für ihn unvergessliche Szene: „Die Katzen haben gehört wie Hunde. Wenn er den Schlossberg runter ging, gingen die Katzen hinterher und wenn ein Fremder gekommen ist, machten sie auf die Bäume hoch. Den Hasen musste er auch nicht an die Leine nehmen. Der kam den ganzen Weg immer hinter ihm her“. Auch im Gasthaus „Wippraer Hof“ ist er kein Unbekannter (wer ist das schon, der mit seinem Kaninchen an der Leine in ein Restaurant geht). Der Wippraer Siegfried Hahn berichtet über einen Abend, an dem er den Hasenmann dort traf. Er hat ihn auf seine Armee-Stiefel angesprochen, die nicht zu seinem Anzug passten. Darauf entgegnete er, dass seine Kaninchen alle Schuhe zerfressen haben und die Armeestiefel die letzte Alternative seien. Weiterhin gab es an diesem Abend einen Streit darüber, dass einer seiner Rammler, der zeitweise bei einem Wippraer untergebracht war, Junge gezeugt hatte, die (zu seinem Unmut) zu Braten verarbeitet wurden.
Ein Konzept hatte der Hasenmann anfangs auch für das Schloss, das er damals Erich Träger verriet: Er wollte rund um das Schloss, das bekanntlich auf einem Berg steht und deswegen von Hängen umgeben ist, Schutt auffüllen, damit mehr Platz ringsum das Schloss geschaffen wird. Der Bauschutt-Erde-Mischschrott liegt noch heute vor dem Schloss und wird wohl ein Fall für die Gemeinde werden. Seit 2010 wurde der Hasenmann nicht mehr gesehen.
Heutige Besitzverhältnisse
Auf Nachfrage bei der Denkmalschutzbehörde stellt sich heraus, dass diese das letzte Mal 2011 in der Rammelburg gewesen ist. Da bekannt ist, dass der Hasenmann keinen Menschen jemals ins Schloss gelassen hat, ist es verwunderlich, dass es zu diesem Vor-Ort-Termin gekommen ist. Es könnte auf einen Verkauf hindeuten, denn ein neuer Besitzer eines Denkmals hat seine Anzeigepflicht bei der Denkmalschutzbehörde wahrzunehmen. Auch die Recherchen der Mitteldeutschen Zeitung unterstützen diese Theorie: Ein Düsseldorfer Zahnarzt soll der Schlossbesitzer sein. Diese Sachlage ist jedoch genauso zukunftslos, wie die Situation des Schlosses seit 1995. Denn der Zahnarzt soll seinen Wohnort nach England verlagert haben – und pleite ist er auch.3 Sein Insolvenzverwalter in Düsseldorf ist nun daran interessiert, die Rammelburg wieder zu veräußern – jedoch nur an Käufern mit einem Konzept. Besitzer, die das Schloss als Kulturgut erhalten und den Denkmalschutz berücksichtigen, wie er gegenüber der MZ erklärt.
Ein Lichtblick? Nur wenn der Käufer darüber hinwegsehen kann, dass das Schloss im Grundbuch mit einer Hypothek in Höhe von zwei Millionen Euro belastet ist4 und der Sanierungsbedarf von Tag zu Tag weiter in Millionenhöhen schnellt. Erich Träger berichtet vom maroden Uhrenturm mit kaputtem Dach, der einen Aufzug der Uhren nur unter Lebensgefahr zulässt, einem abknickenden Balkon durch faulige Stützbalken und bröckeligem Sandstein, der die große Terrasse im Westen abrutschen lässt, „und das ist noch längst nicht alles“.
Noch heute rufen monatlich mindestens zwei Leute beim Burgwächter an, die in die Rammelburg wollen. Das geht natürlich nicht. Aber es zeigt, dass großes Interesse und Neugierde für das verlassene Denkmal besteht. Doch finanzkräftigen Investoren sind darunter nicht. Vielleicht wäre es eine Lösung, die Rammelburg im arabischen Raum bekannt zu machen. Reiche Scheichs wissen die Wälder und den Schnee im Winter sicher mehr zu schätzen als unsereiner.